Ein offener Brief: Engagement braucht Raum

Die Neustadtpiraten unterstützen als Erstunterzeichner den Offenen Brief “Engagement braucht Raum” der IG Freiräume an die Stadt Dresden.

IG Freiräume

Sehr geehrte Stadträte,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
sehr geehrte Beigeordnete,
werte Stadtverwaltung,

Dresden besitzt eine vielfältige Landschaft nicht-profitorientierter, selbstorganisierter Projekte, die die Stadt mit zahlreichen kulturellen und sozialen Angeboten bereichern. Diese größtenteils kostenfreien Angebote bilden die Grundlage für eine lebendige Kulturstadt und erlauben jedem Menschen den Genuss von Kunst und Kultur. So gibt es große Veranstaltungen wie das Neustadt Art Festival und das Umundu-Festival, viele kleine Aktionen wie den Löbtauer Markt und Einzelaktionen, z.B. Barcamps zum Thema Stadtentwicklung, Do-It-Yourself-Workshops oder Konzerte lokaler Musiker.

Die IG Freiräume stellt eine Schnittstelle zwischen den vielen Initiativen dar und bringt vor allem das Engagement und die Arbeit hinter den Angeboten in die Öffentlichkeit. Grundsätzlich aber geht es uns darum, dass die Stadt beginnt, selbstorganisierte Initiativen und Vereine als wichtige Akteure wahrzunehmen. Wir wünschen uns konkret als erste Schritte:

  • Den Erhalt bestehender Projekte, entweder am Standort oder durch akzeptable Alternativräume.
  • Eine städtische Anlaufstelle für nichtkommerzielle Initiativen – eine singuläre Schnittstelle in der Verwaltung – um eine klare Zuständigkeit zu schaffen.
  • Die Abkehr vom Höchstpreisverfahren bei Vergabe von Immobilien der Stadt oder städtischer Tochtergesellschaften, also eine Vergabe nach Konzept, nicht nach Höchstpreis.
  • Eine Senkung der Hürden zur Raumnutzung städtischer Immobilien und Freiflächen mit der Option, langfristige Perspektiven zu entwickeln.
  • Einbeziehung in städtische Planungen, vor allem frühzeitig und auf Augenhöhe.

Was in der „Kunst- und Kulturstadt“ schief läuft

Dresden brüstet sich, eine „lebendige Stadt mit Flair und Charme, Kunst und Kultur“ zu sein. Die Menschen, die sich in dieser Stadt tatsächlich Tag für Tag bemühen, Kunst und Kultur zu schaffen, erleben das jedoch ganz anders. Ihre Probleme sind:

Keine Wahrnehmung: Die im Dunkeln sieht man nicht.

Selbstorganisierte unkommerzielle Räume werden nicht ernstgenommen. Haben sie mit der Stadtverwaltung zu tun, werden sie von Amt zu Amt geschickt, bis sie schließlich auf dem Amtsflur verdursten. Werden sie selbst aktiv, macht sich ein Amtsleiter auch mal die Mühe, direkt Steine in den Weg zu legen.

100 Musiker des Probehauses Reick:
Am 20. März 2013 mussten die über 100 Musiker des Probehauses in Reick ausziehen. Sie erhielten im März die Kündigung und mussten binnen vier Monaten Ersatz finden. In Dresden eine Unmöglichkeit, da Proberäume – auch durch mangelnde politische Förderung – rar sind, die Preise selbst für den dunkelsten Keller entsprechend hoch. In der Stadtverwaltung stieß man auf der Suche nach einem neuen Haus auf Verständnis, jedoch war es Bürgermeister Vorjohann, der ein potentielles Ausweichobjekt – die  Kaitzer Straße 2 am Hauptbahnhof – nach Einreichung eines Nutzungskonzeptes durch die Musiker in einem Verwaltungsakt vom Markt nahm. Begründung: Das Gebäude sei marode, war allerdings zuvor zwei Jahre lang öffentlich zur Miete ausgeschrieben.

Engagement gegen Rendite: Biete mehr als der Investor.

Das Verständnis der Stadtverwaltung für die Arbeit von gemeinnützigen, unkommerziellen und selbstorganisierten Initiativen scheint oft unzureichend. Wenn an solche Initiativen – Genehmigungsverfahren und Auflagen betreffend – die selben Maßstäbe angelegt werden wie an kommerzielle Akteure, wird den finanziellen und personellen Kräften solcher Initiativen in keiner Weise Rechnung getragen.

Die Stadt nimmt selbstverwaltete Projekte nicht ernst. Wenn die Stadt in der Vergangenheit Immobilien zum Verkauf angeboten hat, folgte sie dem Höchstpreisverfahren. Weder soziale, kulturelle noch städtebauliche Argumente zählten, sondern schlicht der höchste gebotene Kaufpreis. Es ist scheinheilig, wenn die Stadt die selbstorganisierten Initiativen immer wieder ins Rennen mit den großen Investoren schickt und danach fehlendes Engagement beklagt.

Finanzbürgermeister Vorjohann:
Dieses Unverständnis und die damit einhergehende Gleichgültigkeit wurde von Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann in einer Einwohnerfragestunde im Juni diesen Jahres besonders treffend formuliert: Leerstehende städtische Gebäude werden laut dessen Aussage an Kulturvereine nur im Wettbewerb mit kommerziellen Investoren veräußert. Noch nicht einmal die Zwischennutzung kommt in Frage. Die Stadt nutzt so die ihr verbleibenden Handlungsmöglichkeiten nicht um kulturelle und soziale Akzente zu setzen, sondern bevorzugt eine rein vom Markt vermittelte Stadtentwicklung.

Königsbrücker Straße 119:
Seit über einem Jahrzehnt bemühen sich verschiedene Initiativen um das städtische Gelände auf der Königsbrücker Straße 119. Die “Initiative für ein soziales Zentrum e.V.” legte 2005 ein umfangreiches Nutzungskonzept vor. Die einzigen Veranstaltungen auf dem Gelände gestalteten sich aber anders: 2007 gab es eine deutsch-tschechische Freundschaftsübung der Polizei, bei der geprobt wurde, wie ein besetztes Haus geräumt wird.
Das Haus steht nach wie vor leer.

Keine Einbeziehung in Planungsverfahren: Wir machen das schon.

Die Stadt plant gern an den Initiativen und Vereinen vorbei und über deren Köpfe hinweg. Damit führt sie den eigenen Anspruch auf frühe Bürgerbeteiligung ad absurdum.

Blaue Fabrik:
Die Geschichte der Blauen Fabrik, die dieses Jahr ihre Pforten schließen musste, droht ein unrühmliches Ende zu nehmen. Die derzeitige Lage ist durch verschiedene Streitparteien durchwachsen, sie begann aber mit der Schaffung von neuem Bauland im Jahr 2010 seitens der Stadt, das eigentlich auch dem Erhalt des Kulturortes dienen sollte. Verpasst wurden dabei rechtlich verbindliche Auflagen zum Erhalt des Gebäudes im Rahmen der Bauanträge durch das Stadtplanungsamt. Das Ergebnis ist, dass die Neu-Eigentümer nichts für die Sanierung der Blauen Fabrik tun und dieser etablierte Veranstaltungsort nun vom Bauaufsichtsamt gesperrt wurde.
http://www.blauefabrik.de/home/neuigkeiten

Freiraum Elbtal:
Bei der sogenannten „Hafencity“ favorisiert die Stadt Pläne von USD und DresdenBau, die vorsehen, Hochhäuser am Neustädter Elbufer hochzuziehen. Dass die fraglichen Flächen im Überflutungsgebiet der Elbe liegen, hat mittlerweile auch die für Hochwasserschutz zuständige Landesbehörde auf den Plan gerufen. Laut den Planungen sollen sich die Mieten der neuen Hafencity auf 9 bis 14 EUR pro Quadratmeter belaufen. Das ist für die meisten Menschen zu teuer, so dass bisher dort ansässige Kulturschaffende an den Stadtrand verdrängt werden.

Selbstorganisierte Räume

Wir betreiben offene Werkstätten, Theaterräume, experimentellen Wohnraum, Sozialberatung, Proberäume für Bands, Ateliers und vieles mehr.
Die Gemeinsamkeit liegt nicht in dem, was wir tun, sondern in dem, wie wir es tun. Die Räume sind Experimentierräume. Sie organisieren sich anders als das, was wir sonst aus dem Alltag kennen.

Sie sind selbstverwaltet. Das heißt, dass alle Beteiligten gemeinsam und grundsätzlich gleichberechtigt bestimmen, was in den Projekten geschieht.

Sie sind nicht profitorientiert. Der Umgang mit Finanzen und anderen Ressourcen richtet sich danach, was aktuell benötigt wird, nicht an einer zu erwirtschaftenden Mindestrendite. Die Projekte haben den Anspruch, allen Menschen zugänglich zu sein.

Warum ist das wichtig?

Weil wir ein soziales Miteinander leben: Jedem Mensch, der in der offenen Werkstatt des „Werk-Stadtpiraten e.V.“ auftaucht, stehen die Türen offen – unabhängig vom sozialen Status.

Weil wir Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen: Menschen erfahren im Alltag unserer Projekte, dass sie etwas miteinander bewegen können. Wo sonst können Wände bemalt, riesige Stahldrachen geschweißt, in Jam Sessions gespielt und experimentelle Radiosendungen erstellt werden?

Weil hier ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen gepflegt wird: Materialien werden wiederverwendet, durch eigene Herstellung Ressourcen geschont und letztendlich lernt Oma Hildegard im „Repair Café“ auch, wie sie ihren Toaster wieder funktionstüchtig bekommt.

Weil wir öffentliche Räume weitgehend ohne Subventionen schaffen: Es gibt keine Hürden, keine Berührungsängste und keine Hierarchien, die Menschen davon abhalten, an den Projekten zu partizipieren.

Was brauchen wir?

Unsere Initiativen verbindet, dass sie weitgehend ohne Fördermittel arbeiten. Das heißt aber, dass sie auf einen Platz angewiesen sind, der zur Verfügung steht. Je sicherer der Raum ist, umso größer die Bereitschaft der Beteiligten Zeit, Arbeit und Material zu investieren. Wenn Räume dauerhaft zur Verfügung stehen, dann können Menschen in ganz verschiedener Weise Verantwortung übernehmen.

Diese Räume können nicht einfach auf dem Immobilienmarkt gekauft werden. Es muss die Möglichkeit geben langfristige Perspektiven zu entwickeln – ohne unnötige Restriktionen und in selbstverwalteten Zusammenhängen. Je selbstbestimmter, umso größer die Motivation.

Wir fordern deshalb

Die Stadt muss beginnen, selbstorganisierte nicht profitorientierte Projekte nicht als „Störung im Betriebsablauf“ sondern als Potenzial wahrzunehmen. Hier engagieren sich Bürger und Bürgerinnen unbezahlt und übernehmen soziale, kulturelle und politische Verantwortung. Hier lebt die Stadt.

Erhalt bestehender Projekte
Wir fordern städtische Unterstützung beim Erhalt bestehender Projekte wie friedrichstadtZentral im Zentralwerk, Freiraum Elbtal oder den Hufewiesen. Wir fordern, dass die Stadt diese Projekte dabei unterstützt, gegebenenfalls akzeptable Alternativräume zu finden.

Wir wollen gesehen werden
Grundsätzlich aber geht es uns darum, dass die Stadt beginnt, selbstorganisierte Initiativen und Vereine als wichtige Akteure und als Potenzial für die Stadt wahrzunehmen.

Konkret heißt das:

  • Schaffung einer städtische Anlaufstelle für nichtkommerzielle Intiativen, eine Schnittstelle in die Verwaltung.
  • Die Abkehr vom Höchstpreisverfahren bei der Vergabe von Immobilien der Stadt oder städtischen Gesellschaften; also Vergabekriterien, die das Nutzungskonzept einbeziehen und nicht ausschließlich das Höchstgebot bewerten.
  • Senkung von Hürden bei der Nutzung städtischer Immobilien durch symbolische Mieten, Wächterhäuser und ähnlichem mit der Option auf langfristige Perspektiven.
  • Frühzeitige Einbeziehung in städtische Planungen auf Augenhöhe.

 

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